Komplexes Zusammenspiel in Sachen Fortpflanzung: Die winzige Schlupfwespe Encarsia pergandiella legt ihre Eier in eine Schildlaus ab und steht ihrerseits unter dem Einfluss des Bakteriums Cardinium hertigii.

Foto: Alexander Wild, Copyright: Department für Mikrobielle Ökologie der Universität Wien

Wien - Zwei Drittel der etwa eine Million bislang bekannten Insektenarten sind mit Bakterien der Gattungen Wolbachia oder Cardinium infiziert. Hinter diesem evolutionären Erfolg der Bakterien steht eine besondere Überlebensstrategie: Die Bakterien sind in der Lage, die Fortpflanzung ihrer Wirte zu beeinflussen und damit die Chancen für ihre eigene Verbreitung zu erhöhen. Ein  internationales Forscherteam unter der Leitung von Matthias Horn von der Universität Wien hat diese Strategie näher untersucht und berichtet darüber im Fachjournal "PLoS Genetics".

Die von den Forschern untersuchten Cardinium-Bakterien leben in der stachellosen Wespenart Encarsia pergandiella, die kaum einen Millimeter misst und knapp zwei hundertstel Gramm wiegt. Die Wespen wiederum legen ihre Eier in heranwachsende Schildläuse. Die Wespenlarven entwickeln sich in ihnen, was die Wirte in der Regel nicht überleben. "Dies führt zu einer erheblichen Reduktion der Schildläuse, die als weitverbreitete Pflanzenschädlinge bekannt sind", schreiben die Forscher.

Eingriff in die Vermehrung

Um ihre Verbreitung in den Wespen zu garantieren, verändern Cardinium-Bakterien, ebenso wie die häufiger vorkommenden Wolbachia-Bakterien, Spermien und Eizellen der Wespen durch den noch nicht vollständig entschlüsselten Prozess der "zytoplasmatischen Inkompatibilität". Dadurch können befallene Männchen nur mehr mit ebenfalls befallenen Weibchen Nachkommen zeugen. "Die Spermien werden durch eine Infektion des Männchens mit Cardinium oder Wolbachia derart verändert, dass nach der Befruchtung einer nicht infizierten Eizelle die ersten Zellteilungsschritte nicht so ablaufen, wie sie sollten", erklärt Horn.

Sind aber auch in der Eizelle Bakterien, ermöglichen sie eine normale Zellteilung und die Entwicklung des Embryos funktioniert einwandfrei, sagte Horn: "Damit stellen die Bakterien sicher, dass die Übertragungswege, mit denen sie sich innerhalb einer Population verbreiten können, optimal ausgenutzt werden können". Denn die Bakterien würden nur in den Eizellen von einer Generation zur nächsten weitergegeben. Reife Spermien seien zwar offensichtlich verändert, aber bakterienfrei.

Durch die Entschlüsselung des Erbgutes von Cardinium und den Vergleich mit dem von Wolbachia gelang es den Wissenschaften, eine Liste an Faktoren vorzuschlagen, welche an dem komplexen Prozess der zytoplasmatischen Inkompatibilität beteiligt sein könnten. Weil diese nicht im Bakterieninneren, sondern in den Zellen der Insekten ihre Wirkung entfalten, würden sie typische Strukturen von tierischen Zellen aufweisen - obwohl sie von den Bakterien hergestellt werden, sagt Horn. 

Grundlagenforschung und mögliche Anwendungen

Zudem gewannen die Forscher neue Einblicke in die Evolution von Cardinium. So konnten sie zeigen, dass die Vorfahren von Cardinium noch innerhalb von Einzellern gelebt haben, ehe sie sich auf Insekten spezialisiert haben. Außerdem stellten die Forscher fest, dass der Mechanismus bei beiden Bakteriengattungen offenbar völlig unabhängig voneinander entstanden ist.

Soweit die evolutionsbiologischen Erkenntnisse - mindestens ebenso wichtig dürfte aber das Potenzial sein, das diese bakterielle Überlebensstrategie für praktische Anwendungen haben könnte: Den Effekt der zytoplasmatischen Inkompatibilität könne man sich nämlich in der Schädlingsbekämpfung zunutze machen. Überträgt man etwa Wolbachia auf Insekten, an die sie nicht angepasst sind, würde dies zu einer verringerten Nachkommenschaft führen. Die Übertragung von Krankheiten wie Malaria oder Denguefieber durch Insekten könnte auf diese Weise gehemmt werden. (APA/red, derStandard.at, 4. 11. 2012)